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Von Dorothe Sölle (1929 - 2003) wird überliefert, sie habe auf die Frage, welche theologische Einsicht ihr im Laufe ihres Lebens wichtg geworden ist, geantwortet: "immer jüdischer werden".

Analog zu dieser Ausrichtung auf die wesentlichen Quellen der eigenen Professionlität kann es eine Aufgabe für Religionslehrkräfte sein, immer pädagogischer zu werden. So wichtig und notwendig eine ausgewiesene fachwissenschaftliche Expertise auch ist, im Zentrum des Religionsunterrichts stehen nicht Sachen, sondern Personen.

In den 1970er und 80er Jahren war die Korrelationsdidaktik das leitende Konzept für den Religionsunterricht. Im Laufe der 1990er Jahre wurde dessen Tauglichkeit mehr und mehr in Frage gestellt. Die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler und damit verbunden deren Erfahrungen seien nicht mehr korrelierbar mit den Inhalten des biblischen oder gar kirchlichen Glaubens.

In diesen Kontext hinein hat der christliche Religionsphilosoph Klaus Hemmerle (1929-1994) in einem seiner letzten Beiträge eine Weiterentwicklung dieses Konzeptes vorgelegt, die geeignet ist, einen zeitgemäßen Religionsunterricht, der Schülerinnen und Schüler in ihren je eigenen Situationen ernst nimmt, theologisch und religionspädagogisch hinreichend zu begründen. Der folgende Beitrag ist ein Auszug aus der Dissertation "Das Kreuz mit den Schülerinnen" (Freiburg 2001, 179 - 182).

Inkarnatorische Korrelation: Das Kreuz mit den SchülerInnen

Neben den religionspädagogisch oder allgemein theologisch begründeten Anfragen an die Korrelations-Didaktik gab und gibt es auch fundamentaltheologische resp. religionsphilosophische an das dahinter stehende Korrelations-Prinzip.[1] Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang der Beitrag von Klaus Hemmerle.[2] Hemmerle betont zu Beginn die für die Korrelation grundlegende theologische Erkenntnis, dass es Gotteswort immer nur im Menschenwort gibt. „Diese Verschränkung von Gotteswort und Menschenwort ist ein theologisches Grunddatum, und dies kommt in der Korrelationstheorie zur Geltung.“[3] Zugleich ist Wort Gottes immer auch Heilswort. Beide Aspekte des Gotteswortes sind bedeutsam. „Dieser Zusammenhang ‚Gotteswort im Menschenwort’ und ‚Heilswort’ als Wort, das auch die Heilsbedürftigkeit, die Heilsfähigkeit und das Heilsverständnis des anderen und unser eigenes mit einbezieht, das ist der Grund, warum das Korrelationsprinzip ein fundamentales religionspädagogischen Prinzip ist, [und zwar nicht im Sinne der Methodik, sondern im Sinn des theologischen Inhalts].“[4] Die dieses Prinzip bestimmende Grundstruktur der Frage des Menschen und der Antwort Gottes – so Hemmerle – wird allerdings aufgebrochen und geweitet, „dass eben auch Gott der Fragende und der Mensch der Antwortende sein muss.“[5] Die Korrelation ist somit konstitutiv für den Glaubensvollzug. Das hat insofern Konsequenzen für den korrelativ ausgerichteten Lehr-Lern-Prozess, als dass dieser „immer einer sein muss, bei dem auch die Schüler Mitakteure sind, bei dem auch die Schüler Glaubensquelle sind.“[6] Die explizite Formulierung des Korrelationsprinzips als didaktisches führt Hemmerle darauf zurück, dass die früher gegebene selbstverständliche Einheit von Lebenserfahrung und Glaubenserfahrung in der modernen Gesellschaft auseinander gefallen ist. „Die Korrelation ist herzustellen – sie ist unselbstverständlich. Sie muss mühsam expliziert werden. Dass im Glauben eine Antwort und dass in der Erfahrung eine Frage, dass im Glauben eine Frage und in der Erfahrung eine Antwort drinnen steckt, dies festzustellen, ist mühsam, und weil es nicht mehr selbstverständlich ist, braucht es auch eine methodische Ausarbeitung, wie dies denn eigentlich gehen könne.“[7]

An dieser Stelle beschreibt Hemmerle die Grenze des Korrelationsprinzips, mit der Beobachtung, dass menschliche Grunderfahrung und Glaube heute oftmals nicht mehr korrelierbar erscheinen. Für ihn ist das eine Folge neuzeitlicher Philosophie, die in ihrer Tragweite erst jetzt spürbar wird. „Subjekterfahrung, Konstruktions- oder Machbarkeitserfahrung, Pluralität und ein daraus kommender Pluralismus des Denkens, das sind die großen Erfahrungen der Neuzeit. Die haben ihre Grenzen, die haben ihre Fatalitäten, aber wir können sie nicht übersehen und übergehen.“[8] Das ‚Ankommen der Moderne in der Lebenswelt’ ist für jedes Vermittlungsbemühen (insbesondere die Religionspädagogik) eine enorme Aufgabe, die zugleich mit einer großen Gefahr verbunden ist. „Diese Unkorrelierbarkeit der Erfahrung mit den Kategorien des Glaubens hat es in sich, dass eben auch mit einer Korrelationsdidaktik der Verdacht einer zu optimistischen und schnellen Versöhnung von Lebenswelt und Glaubenswelt verbunden ist.“[9]

Neben den Ausgangspunkt der Korrelationsdidaktik (die Unkorreliertheit von Erfahrung und Glaube) und deren scheinbares Ende (die Unkorrelierbarkeit Erfahrung und Glaube) tritt jene Tendenz der Postmoderne, die Hemmerle in der Unkorrelierbarkeit des Subjekts mit sich selbst sieht. In der unüberschaubaren Vielzahl auseinanderstrebender Erfahrungen und Wirklichkeiten ist für das Subjekt der Postmoderne keine Einheitserfahrung mehr möglich. „Ich kann alles Mögliche machen, aber was ich nicht mehr machen kann, ist die durchgreifende Einheit des Ganzen. Und dann bleibt nur der absolute Pluralismus ohne Einheit, nicht mehr die Spannung zwischen Einheit und Pluralität, sondern es ist so, dass ich Grunde nur noch das Viele übriglasse.“[10] In der beschriebenen Grundbefindlichkeit des Menschen in der Postmoderne sieht Hemmerle einen – wie er sagt – hermeneutischen Schlüssel in der Inkarnationslehre. Die Unkorrelierbarkeit, die Unversöhnlichkeit, das Ausgespanntsein, ja das Auseinanderbrechen der Wirklichkeit in unendlich vieles ohne Einheit, Gott hält es aus, indem er in diese Situation eintritt, indem er Menschen wird. „Das ist es, dass er [Jesus] die absolute Nähe zu Gott und die absolute Ferne Gottes nicht dialektisch vermittelt, sondern aushält, dass er dorthin geht, wo wir sind, dass er sich ausliefert und einfach uns aushält.“[11]  Die Inkarnation des göttlichen Wortes, die Fleischwerdung des Logos, ist radikal zuende zu denken. „Das Wort ist Sarx, Fleisch geworden, das heißt, Gott hat sich aufgemacht, um dies auszuhalten.“ Der Logos kommt bedingungslos und uneingeschränkt in die Sarx, „weil das Wort nicht irgendwo eine frohe Realität jenseits der Sarx hat, sondern sich einfach reingibt, radikal, in die Sarx, in das Fleisch, in die Wirklichkeit, die es aushält. Das ist Menschwerdung, das ist Kreuzigung, Gottverlassenheit.“[12]

Hemmerle sieht in diesem Heilshandeln Gottes an der Schöpfung, in seinem Aushalten, ein Grundmodell religionspädagogischen Handelns. Nach dem Scheitern an den postmodernen Herausforderungen, am Ende des Korrelationsprinzips, steht dessen theologisch vertiefte Neuformulierung, die darin besteht, das die LehrerInnen die SchülerInnen ‚aushalten’. In diesem Sinne sagt Hemmerle: „Ich möchte aus diesem Aushalten eine Perspektive der ausgehaltenen Ratlosigkeit entwickeln. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir die Schüler aushalten. Religionsunterricht besteht darin, dass Schüler ausgehalten werden. Das ist die Vermittlung dessen, was Gott tut. Im ‚Aushalten’ allein geschieht ‚Zusammenhalten’ – ‚Korrelieren’. Und nur in solchem Zusammenhalten [kann konzentriert werden], kann auf eine einheitsstiftende Mitte hin, die nicht konstruiert wird, etwas sichtbar werden. Ich bin wieder plötzlich eine[r], weil ich dieses Viele aushalte. Aber ich kann’s nicht, wenn ich nicht weiß, dass ich ausgehalten bin.“[13] Das uneingeschränkte Interesse Gottes an der Welt, an den Menschen, an jedem einzelnen – das ist Ausgangspunkt und Aufgabe konkreten Religionsunterrichts. Hemmerle unterscheidet dabei vier Ebenen. Das erste im Religionsunterricht auf dieser Basis zu Vermittelnde ist: ‚Interessiere dich für dich. Leb’ doch dein Leben nicht einfach so weg’. Ein Zweites könnte darin geschehen: ‚Interessiere dich für die anderen’. Eine dritte Dimension könnte aufgehen, wenn SchülerInnen Solidarität und Offenheit für die einswerdende Welt entwickeln. Die vierte Ebene wäre erreicht, wenn sie sich füreinander interessieren, ein gegenseitiges Interesse entwickeln. In dieser Erfahrung gegenseitigen Interesses und Aushaltens schließlich könnte aufscheinen, dass eben darin der da ist und licht und hell wird, der uns ausgehalten hat.[14]

Die von Hemmerle aufgewiesene Bedeutung der inkarnationstheologischen Dimension der Korrelation ist aktueller denn je. Inkarnation als theologische Kernaussage christlichen Glaubens würde ihre soteriologische Bedeutung verlieren, wenn im Religionsunterricht der vielfach gestellten Forderung nachgegeben würde, sich der Welt und der Wirklichkeit zu verweigern, sich nicht auf sie einzulassen, und statt dessen der Situation der SchülerInnen in der Postmoderne dadurch zu begegnen, dass ihnen die Offenbarungswahrheiten der Bibel und die des Lehramtes, wie sie zum Beispiel im Katechismus formuliert sind, konfrontativ zugemutet werden, wie es der sogenannte materialkerygmatische Ansatz intendiert.


[1] Vgl. Biemer, G.: Ist die Offenbarung in religiösen Lernprozessen gleichrangig mit der Erfahrung? Für und gegen Georg Baudlers Auffassung von Korrelationsdidaktik. In: Diakonia 18 (1987), 419‑421. Wie eine antizipierte Replik liest sich der zehn Jahre zuvor verfasste Beitrag von G. Fuchs, Glaubenserfahrung – Theologie – Religionsunterricht. In: KatBl 103 (1978), 190‑216.

[2] K. Hemmerle: Der Religionsunterricht als Vermittlungsgeschehen. Überlegungen zum Korrelationsprinzip [Bearbeitet von Benno Groten]. In: KatBl 119 (1994), 304‑311; im folgenden zitiert nach: K. Hemmerle: Der Religionsunterricht als Vermittlungsgeschehen. Überlegungen zum Korrelationsprinzip. In: Ders.: Ausgewählte Schriften [hgg. von Feiter, R.]. Band 4. Freiburg 1996, 369‑381.

[3] Ebd. 371.
[4] Ebd. 372.
[5] Ebd.
[6] Ebd.
[7] Ebd. 373.
[8] Ebd. 375.
[9] Ebd.
[10] Ebd. 376.
[11] Ebd. 378.
[12] Ebd. 378f.
[13] Ebd. 379f.
[14] Vgl. ebd. 381.

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